Leseprobe
Aus: Die Farbensucherin, Innsbruck 1997
Beichte
Mein Vater gebar mich mit einem großen Knall.
Es war ein Krachen und Bersten. Die Knochen splitterten, und Blut spritzte
die Wohnzimmerwände rot. Es war ein natürlicher Vorgang, denn er
hatte meine Mutter verschlungen. Das alles verursachte ihm sein Leben lang
viel Kopfweh.
Aber irgendwo mußte ich ja herauskommen, und so zwängte ich mich
zuerst aus dem Bauch meiner Mutter in den verbleibenden Restraum des väterlichen
Körpers. Der weitere Weg entwickelte sich dementsprechend als Kampf mit
Fleisch, Knochen, Blutflüssen und Zellen aller Art. Er dauerte die übliche
Zeit, aber eigentlich zweiunddreißig Jahre, sieben Monate, dreiundzwanzig
Tage. In einer anderen Zeitrechnung waren es dreizehn Jahre, zehn Monate und
fünfzehn Tage.
Schließlich arbeitete ich mich durch das Gehirn und die Schädelknochen
hindurch, preßte mich mit letzter Kraft ins Freie.
Das Freie war zunächst die Welt meines Vaters. Sie bestand neben den
großen Taten vor allem aus Sprache. In dieser Sprache tummelten sich
viele Fremdwörter. Sie waren glitschige Fische im Wörtersee. Sie
entglitten mir zumeist und damit auch die um sie gebildeten Sätze. Meine
Kindheit bestand vor allem darin, schwimmen zu lernen und die Bedeutung von
väterlichen Wörtern und Sätzen zu erahnen.
So lernte ich, mich vorzubeugen, mit Armen und Beinen zu rudern und angespannt
zuzuhören. Manchmal tauchte meine Mutter in der Küchentür auf
und winkte mir zu. Mein Vater hatte sie wieder ausgespuckt, sie war ihm doch
schwer im Magen gelegen.
Manchmal verschwand sie im Kasten und kam mit gebügelten
Taschentüchern und Unterhosen für ihn wieder hervor. Meistens aber
war sie weg.
Sie verdiente Geld, indem sie die Wünsche von betriebsamen Herren noch
vor deren Aussprechen zu erfüllen pflegte, oder deren Befehle in ordentliche
Buchstabenreihen auf Papier umsetzte. Sie wurden dann gnädig unterschrieben.
Der oberste Unterschreiber war Der General. Das bestätigte meinen Eindruck
von dem riesigen Ziegelsteingebäude als waffenstarrende Festung, bedeutungsvoll
Das Werk genannt.
Das Werk war das Zentrum der Welt.
Das Werk erzeugte Fasern. Die Fasern wurden in riesigen Hallen zu dicken Stricken
gesponnen. Jede Familie hing an ihnen.
Vom Werk mit seinen riesigen Schloten gingen die guten Nachrichten aus und
die bösen, die Gehaltserhöhungen und die Unfälle, das Fischsterben
und der Reichtum der Gemeinde.